BAG: Mehrurlaub fuer 58-jährige

BAG: Mehrurlaub fuer 58-jaehrige

Wenn ein Arbeitgeber älteren Arbeitnehmern jährlich mehr Urlaubstage als jüngeren gewährt, kann die unterschiedliche Behandlung wegen des Alters unter dem Gesichtspunkt des Schutzes älterer Beschäftigter nach § 10 S. 3 Nr. 1 AGG zulässig sein. Bei der Prüfung, ob eine solche vom Arbeitgeber freiwillig begründete Urlaubsregelung dem Schutz älterer Beschäftigter dient und geeignet, erforderlich und angemessen i.S.v. § 10 S. 2 AGG ist, steht dem Arbeitgeber eine auf die konkrete Situation in seinem Unternehmen bezogene Einschätzungsprärogative zu.

 

BAG, Urteil vom 21.10.2014 - 9 AZR 956/12 (LAG Rheinland-Pfalz)

 

Anmerkung von

RA Prof. Dr. Jobst-Hubertus Bauer, Gleiss Lutz, Stuttgart

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 45/2014 vom 13.11.2014

 

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Sachverhalt

 

Die nicht tarifgebundene Beklagte stellt Schuhe her. Sie gewährt ihren in der Schuhproduktion tätigen Arbeitnehmern nach Vollendung des 58. Lebensjahres jährlich 36 Arbeitstage Erholungsurlaub und damit 2 Urlaubstage mehr als ihren jüngeren Arbeitnehmern. Die 1960 geborene Klägerin hat gemeint, die Urlaubsregelung sei altersdiskriminierend. Die Beklagte habe deshalb auch ihr jährlich 36 Urlaubstage zu gewähren.

Die Vorinstanzen haben den hierauf gerichteten Feststellungsantrag der Klägerin abgewiesen.

 

Entscheidung

 

Die vom LAG zugelassene Revision der Klägerin hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Nach Auffassung des 9. Senats kann die unterschiedliche Behandlung wegen des Alters, wenn ein Arbeitgeber älteren Arbeitnehmern jährlich mehr Urlaubstage als den jüngeren gewährt, unter dem Gesichtspunkt des Schutzes älterer Beschäftigter nach § 10 S. 3 Nr. 1 AGG zulässig sein.

Bei der Prüfung, ob eine solche Urlaubsregelung dem Schutz älterer Beschäftigter diene und geeignet, erforderlich und angemessen i.S.v. § 10 S. 2 AGG sei, stehe dem Arbeitgeber eine auf die konkrete Situation in seinem Unternehmen bezogene Einschätzungsprärogative zu. Die Beklagte habe mit ihrer Einschätzung, die in ihrem Produktionsbetrieb bei der Fertigung von Schuhen körperlich ermüdende und schwere Arbeit leistenden Arbeitnehmer bedürften nach Vollendung ihres 58. Lebensjahres längerer Erholungszeiten als jüngere Arbeitnehmer, ihren Gestaltungs- und Ermessensspielraum nicht überschritten. Dies gelte auch für die Annahme, zwei weitere Urlaubstage seien aufgrund des erhöhten Erholungsbedürfnisses angemessen, zumal auch der MTV der Schuhindustrie vom 23.04.1997, der mangels Tarifbindung der Parteien keine Anwendung fand, zwei zusätzliche Urlaubstage ab dem 58. Lebensjahr vorsah.

 

Praxishinweis

 

Die Entscheidung, die bislang nur als Pressemitteilung vorliegt (FD-ArbR 2014, 362834), verdient Zustimmung. Eine Ungleichbehandlung jüngerer Arbeitnehmer aufgrund einer Urlaubsstaffelung kann durch ein legitimes Ziel i.S.d. § 10 S. 1 AGG gerechtfertigt sein. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen darüber hinaus angemessen und erforderlich sein (§ 10 S. 2 AGG). Nach § 10 S. 3 Nr. 1 AGG ist insbesondere die „Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang und Beschäftigung und zur beruflichen Bildung sowie besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Bedingungen für Entlohnung und Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses" gerechtfertigt, wenn es darum geht, „die berufliche Eingliederung von Jugendlichen, älteren Beschäftigten und Personen mit Fürsorgepflichten zu fördern oder ihren Schutz sicherzustellen". Unter diesem „Schutz" ist nicht nur ein eingeschränkter Eingliederungsschutz zu verstehen; gemeint ist vielmehr ein genereller Beschäftigungsschutz (vgl. Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, 3. Aufl. 2011, § 10 Rn. 26).

 

Damit stellt sich die Gretchenfrage, unter welchen Umständen eine Urlaubsstaffelung einem legitimen Ziel dient und ob sie angemessen und erforderlich ist. Ein legitimes Ziel liegt vor, wenn bezweckt wird, einem mit zunehmendem Alter steigenden Erholungsbedürfnis oder dem Gesundheitsschutz älterer Arbeitnehmer Rechnung zu tragen. Das ist bei der hier vorliegenden Urlaubsstaffelung offensichtlich der Fall (vgl. aber BAG, NZA 2012, 803, wo ein solches Ziel fehlte). Um dieses Ziel zu erreichen, ist es auch angemessen und erforderlich, 58-jährigen Arbeitnehmern Mehrurlaub von zwei Tagen zu gewähren.

 

Im Übrigen ist eine Urlaubsstaffelung auch dann zulässig, wenn sie sich nicht am Alter, sondern an der Betriebszugehörigkeit orientiert. Dann liegt zwar eine mittelbare Altersdiskriminierung vor, die aber regelmäßig nach § 3 II AGG gerechtfertigt ist, wenn es sich um maßvollen Mehrurlaub handelt.