Das Bundesverfassungsgericht hat die Regelungen zur Privilegierung von Betriebsvermögen bei der Erbschaftsteuer insgesamt für unvereinbar mit dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG erklärt. Zwar dürften Familienunternehmen zur Erhaltung der Arbeitsplätze steuerlich begünstigt werden. Die derzeitigen Regelungen seien aber teilweise unverhältnismäßig. Der Gesetzgeber muss nun spätestens bis zum 30.06.2016 eine Neuregelung treffen.
BFH-Vorlage: Privilegierung von Betriebsvermögen bei Erbschaftsteuer verfassungskonform?
Der Kläger des Ausgangsverfahrens ist Miterbe des 2009 verstorbenen Erblassers. Der Nachlass setzte sich aus Guthaben bei Kreditinstituten und einem Steuererstattungsanspruch zusammen. Das Finanzamt setzte die Erbschaftsteuer mit einem Steuersatz von 30% nach Steuerklasse II fest. Der Kläger macht geltend, die nur für das Jahr 2009 vorgesehene Gleichstellung von Personen der Steuerklasse II und III sei verfassungswidrig. Einspruch und Klage, mit denen er eine Herabsetzung der Steuer erreichen wollte, blieben erfolglos. Im Revisionsverfahren hat der Bundesfinanzhof dem BVerfG die Frage vorgelegt, ob § 19 Abs. 1 ErbStG in der 2009 geltenden Fassung in Verbindung mit §§ 13a und 13b ErbStG wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG verfassungswidrig ist. Die Gleichstellung von Personen der Steuerklassen II und III in § 19 Abs. 1 ErbStG sei zwar verfassungsrechtlich hinzunehmen, jedoch sei diese Vorschrift in Verbindung mit den Steuervergünstigungen der §§ 13a und 13b ErbStG gleichheitswidrig.
BVerfG: Privilegierung betrieblichen Vermögens großer Unternehmen ohne Bedürfnisprüfung verfassungswidrig
Das BVerfG hat § 19 Abs. 1 ErbStG in Verbindung mit §§ 13a und 13b ErbStG für verfassungswidrig erklärt. Die erbschaftsteuerliche Begünstigung des Übergangs betrieblichen Vermögens verstoße in Teilen gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Dabei erfassten die Gleichheitsverstöße die §§ 13a und 13b ErbStG insgesamt. Das BVerfG hält die Verschonungsregelung als solche zwar im Grundsatz für vereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG. Die damit verfolgten Ziele, produktives Vermögen von Familienunternehmen steuerlich zu begünstigen, um den Bestand des Unternehmens und seiner Arbeitsplätze nicht durch steuerbedingte Liquiditätsprobleme zu gefährden, sei legitim. Die durch die Verschonungsregelung bewirkte Ungleichbehandlung sei grundsätzlich auch verhältnismäßig, soweit sie eine Steuerverschonung von 100% ermögliche. Allerdings erachtet das BVerfG die Regelung beim Übergang großer Unternehmensvermögen für korrekturbedürftig. Denn die Privilegierung betrieblichen Vermögens sei unverhältnismäßig, soweit sie über kleine und mittlere Unternehmen ohne eine Bedürfnisprüfung hinausgreife. Hier erreiche die Ungleichbehandlung schon wegen der Höhe der steuerbefreiten Beträge ein Maß, das ohne die konkrete Feststellung der Verschonungsbedürftigkeit des erworbenen Unternehmens mit einer gleichheitsgerechten Besteuerung nicht mehr in Einklang zu bringen sei. Es sei Aufgabe des Gesetzgebers, präzise und handhabbare Kriterien zur Bestimmung der Unternehmen festzulegen, für die eine Verschonung ohne Bedürfnisprüfung nicht mehr in Betracht komme.
Freistellung von Betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten von Einhaltung einer Mindestlohnsumme unverhältnismäßig
Die Verschonungsregelung der §§ 13a und 13b ErbStG verstößt nach Auffassung des BVerfG auch in Teilen ihrer Ausgestaltung gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Allerdings sei weder die Festlegung einer Mindestbeteiligung von mehr als 25% bei Kapitalgesellschaften noch die generelle Begünstigung des Erwerbs von Anteilen an Personengesellschaften sowie land- und forstwirtschaftlicher Betriebe zu beanstanden. Die Lohnsummenregelung hält das BVerfG zwar grundsätzlich für verfassungskonform und durch das legitime Ziel, Arbeitsplätze zu erhalten, gerechtfertigt. Sie sei aber unverhältnismäßig, soweit Betriebe mit nicht mehr als 20 Beschäftigten - zum Zwecke der Verwaltungsvereinfachung - von der Einhaltung der Mindestlohnsumme freigestellt werden. Der BFH habe ausgeführt, dass weit über 90% aller Betriebe in Deutschland nicht mehr als 20 Beschäftigte haben. Betriebe könnten daher fast flächendeckend die steuerliche Begünstigung ohne Rücksicht auf die Erhaltung von Arbeitsplätzen beanspruchen, obwohl der mit dem Nachweis und der Kontrolle der Mindestlohnsumme verbundene Verwaltungsaufwand nicht so hoch sei wie teilweise geltend gemacht werde. Das BVerfG weist den Gesetzgeber darauf hin, dass er, sofern er an dem gegenwärtigen Verschonungskonzept festhalte, die Freistellung von der Lohnsummenpflicht auf Betriebe mit einigen wenigen Beschäftigten begrenzen müsse.
Verschonung betrieblichen Vermögens mit Verwaltungsvermögensanteil bis zu 50% ebenfalls unverhältnismäßig
Ebenfalls für verfassungswidrig erachtet das BVerfG die Regelung über das Verwaltungsvermögen, da sie den Erwerb von begünstigtem Vermögen selbst bei einem Anteil von bis zu 50% Verwaltungsvermögen insgesamt verschone, ohne dass hierfür ein tragfähiger Rechtfertigungsgrund erkennbar wäre. Das Ziel, steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten zu unterbinden, könne die Regelung kaum erreichen. Im Gegenteil dürfte sie die Verlagerung von privatem in betriebliches Vermögen eher begünstigen, so das BVerfG. Auch ein spürbarer Verwaltungsvereinfachungseffekt sei nicht erkennbar. Denn der Anteil des Verwaltungsvermögens sei auch für die Anwendung der 50%-Regel zu ermitteln. Schließlich sei die Regelung nicht mit der Typisierung des § 13b Abs. 4 ErbStG in Einklang zu bringen, nach der jedes Unternehmen über nicht begünstigungsfähiges Verwaltungsvermögen im Umfang von 15% des gesamten Betriebsvermögens verfügen solle.
Verfassungswidrige Gestaltungsmöglichkeiten
Weiter seien die §§ 13a und 13b ErbStG auch insoweit verfassungswidrig, als sie Gestaltungen zuließen, die zu nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlungen führten. Dies sei der Fall bei Gestaltungen, welche die Lohnsummenpflicht durch Betriebsaufspaltungen umgingen, welche die 50%-Regel in Konzernstrukturen nutzen und bei sogenannten Cash-Gesellschaften. Die Verfassungsrichter Gaier, Masing und Baer haben der Entscheidung in ihrem Sondervotum zwar zugestimmt, betonen aber die Bedeutung des Sozialstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 1 GG) bei der Regelung der Erbschaftssteuer. Die in der Entscheidung entwickelten Maßgaben trügen dazu bei, dass Verschonungsregelungen nicht zur Anhäufung und Konzentration größter Vermögen in den Händen Weniger führten.