OLG Hamm: 80.000 Euro Schmerzensgeld wegen verminderter Sehfähigkeit nach augenärztlichem Behandlungsfehler

zu  OLG Hamm, Urteil vom 10.05.2016 - 26 U 107/15

zu  OLG Hamm, Urteil vom 10.05.2016 - 26 U 107/15

0.000 Euro können einer jungen Frau als Schmerzensgeld zuzusprechen sein, wenn sie aufgrund einer augenärztlichen Fehlbehandlung einen wesentlichen Teil ihrer Sehfähigkeit verloren hat. Das entschied das Oberlandesgericht Hamm unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung (Urteil vom 10.05.2016, Az.:  26 U 107/15).

 

Arzt veranlasst trotz Verschlechterung der Sehkraft keine Messung des Augeninnendrucks

 

Die heute 19 Jahre alte Klägerin aus Bielefeld leidet seit dem 10. Lebensjahr an Diabetes mellitus. Von 2007 bis 2009 befand sie sich in der augenärztlichen Behandlung der Beklagten, einer in Bielefeld niedergelassenen Augenärztin. Nach den Sommerferien 2008 suchte die Klägerin die Beklagte mehrfach wegen fortschreitender Verschlechterung ihrer Sehleistung auf, ohne dass die Beklagte bis zur letzten Behandlung im Februar 2009 eine Augeninnendruckmessung veranlasste.

 

Grüner Star erst in Krankenhaus diagnostiziert

 

Nach einer notfallmäßigen Aufnahme der Klägerin wegen eines erhöhten Augendrucks diagnostizierte die Augenklinik der städtischen Klinik in Bielefeld im März 2009 einen fortgeschrittenen sog. Grünen Star (dekompensiertes juveniles Glaumkom mit Kammerwinkeldysgenisie). In der Folgezeit musste sich die Klägerin operativen Eingriffen am rechten und linken Auge unterziehen, die jedoch eine hochgradige Verschlechterung ihrer Sehfähigkeit von zuvor noch über 60 % auf Werte unterhalb von 30 % nicht mehr verhindern konnten.

 

Erfolgreiche Klage auf Schmerzensgeld

 

Wegen der versäumten Feststellung des erhöhten Augendrucks hat die Klägerin von der Beklagten Schadensersatz begehrt, u.a. ein Schmerzensgeld von zunächst 45.000 Euro. Ihre Schmerzensgeldvorstellung hat sie nach Bekanntwerden der Möglichkeit, dass sie noch zu Lebzeiten erblinden könne, auf 80.000 Euro erhöht. Die Schadensersatzklage der Klägerin war erfolgreich. Über das vom Landgericht zugesprochene Teilschmerzensgeld von 25.000 Euro hat der 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm der Klägerin weitere 55.000 Euro zugesprochen und damit das Schmerzensgeld auf insgesamt 80.000 Euro erhöht.

 

OLG bejaht Haftung wegen groben Befunderhebungsfehlers

 

Die Beklagte hafte, so der von einem medizinischen Sachverständigen beratene OLG-Senat, aufgrund eines groben Befunderhebungsfehlers. Bei ihrer letzten Behandlung im Februar 2009 habe sie es versäumt, eine Augeninnendruck- und eine Gesichtsfeldmessung durchzuführen und so der Ursache der sich verschlechternden Sehfähigkeit weiter nachzugehen. Wäre der erhöhte Augeninnendruck bei der Klägerin seinerzeit medikamentös behandelt und die Klägerin als Notfall in eine Augenklinik eingewiesen worden, hätten die später eingetretene Gesichtsfeldeinschränkung und der weitere Verlust der Sehfähigkeit möglicherweise erheblich geringer ausfallen können. Dabei sei der tatsächliche Verlauf der Erkrankung im vorliegenden Fall zulasten der Beklagten zu berücksichtigen. Es liege ein grober Befunderhebungsfehler vor, dem die eingetretenen Folgen zuzurechnen seien, so das OLG.

 

Hohes Schmerzensgeld gerechtfertigt

 

Der Klägerin sei ein Schmerzensgeld von 80.000 Euro zuzusprechen, so das OLG weiter. Durch die verspätete Behandlung sei der noch jungen Klägerin die Möglichkeit genommen worden, ein adäquates Leben zu führen. Unter anderem sei sie bei sportlichen Aktivitäten stark eingeschränkt und könne keinen Pkw führen. Weiterhin müsse sie einen Beruf ergreifen, der ihrer stark eingeschränkten Sehfähigkeit Rechnung trage und sie benötige einen für ihre geringe Sehkraft speziell eingerichteten Arbeitsplatz. Zudem bestehe die Gefahr, dass sie zu Lebzeiten erblinde, auch wenn sich der Zeitpunkt noch nicht abschätzen lasse. Das zugesprochene Schmerzensgeld sei aufgrund der bestehenden und absehbaren Folgen gerechtfertigt. Allein die zeitlich nicht hinreichend sicher absehbare Erblindung habe der Senat noch nicht berücksichtigt.