Eigenhändig ge- und unterschriebene Schriftstücke können Testamente sein, auch wenn sie mit einer anderen Bezeichnung wie beispielsweise "Vollmacht" überschrieben sind. Dies hat das Oberlandesgericht Hamm mit jetzt mitgeteiltem rechtskräftigen Urteil vom 11.05.2017 entschieden (Az.: 10 U 64/16).
Erblasserin setzte Schwestern testamentarisch als Erben ein
Die Klägerin ist die Nichte der Beklagten. Die Erblasserin war die Schwester der Beklagten und der Mutter der Klägerin. In einem als "Testament" überschriebenen Schriftstück bestimmte sie im Juni 2013, dass sie ihren Schwestern nach ihrem Tode das Elternhaus in Paderborn je zur Hälfte übertrage.
Erblasserin erteilte Nichte "Vollmacht" für Bank- und Bausparkassenguthaben
In zwei auf wenige Tage später datierten und mit "Vollmacht" überschriebenen Schriftstücken erteilte die Erblasserin der Klägerin Vollmacht, "über meinen Bausparvertrag bei der … Bausparkasse über meinen Tod hinaus, zu verfügen und sich das Guthaben auszahlen zu lassen" und "über sämtliches Vermögen, welches bei der Volksbank … auf meinem Girokonto und Ersparnissen (Sparbuch, Geldanlagen) besteht, über meinen Tod hinaus, zu verfügen".
Erbeneinsetzung durch Testament unstreitig
Beim Tode der Erblasserin belief sich das Guthaben auf den Konten bei der Volksbank und auf dem Bausparvertrag auf zusammen etwa 63.400 Euro. Zwischen den Beteiligten war unstreitig, dass die Erblasserin die Beklagte und die Mutter der Klägerin in dem als "Testament" überschriebenen Schriftstück zu hälftigen Miterben bestimmt hat, weil das Hausgrundstück in Paderborn das wesentliche Vermögen der Erblasserin darstellte. Das Nachlassgericht stellte einen entsprechenden Erbschein aus.
Streitpunkt: "Vollmachten" als Testamente zu werten?
Umstritten war zwischen den Beteiligten, ob die weiteren Schriftstücke der Erblasserin aus dem Juni 2013 ebenfalls testamentarische Anordnungen beinhalteten. Die Klägerin meinte, die Erblasserin habe ihr die Guthaben als Vermächtnisse zugewandt. Bei den beiden Schriftstücken handele es sich nicht um bloße Vollmachten, sondern um Testamente. Da die Beklagte – anders als die Mutter der Klägerin – die geforderte Zahlung verweigerte, klagte die Klägerin auf Erfüllung des nach ihrer Ansicht bestehenden Vermächtnisses.
OLG bejaht Anspruch aus Vermächtnis – "Vollmachten" als Testamente zu beurteilen
Die Klage war erfolgreich. Laut OLG wies die Erblasserin der Klägerin ihre Guthaben bei der Volksbank und der Bausparkasse im Rahmen von Vermächtnissen zu. Die beiden mit "Vollmacht" überschriebenen Schriftstücke der Erblasserin stellten rechtswirksam errichtete privatschriftliche Testamente dar. Sie seien von der Erblasserin eigenhändig ge- und unterschrieben worden und erfüllten so die formalen gesetzlichen Anforderungen an ein privatschriftliches Testament. Dass sie mit "Testament" oder "mein letzter Wille" überschrieben seien, sei nicht erforderlich, weil sie auf einem ernstlichen Testierwillen beruhten. Die Erblasserin habe sie als rechtsverbindliche letztwillige Verfügung angesehen und der Klägerin nicht lediglich eine Verfügungsbefugnis erteilen wollen.
"Vollmachten" zusammen mit Testament verwahrt
Zwar habe die Erblasserin die Schriftstücke mit "Vollmacht" überschrieben, so das OLG. Sie habe die Schriftstücke aber nicht bei den genannten Banken verwahrt, sondern gemeinsam mit dem wenige Tage zuvor errichteten Testament in ihrer Wohnung hinterlegt. Ihr Einsatz im Rechtsverkehr sei aus Sicht der Erblasserin auch nicht notwendig gewesen, nachdem sie ihrer Schwester, der Mutter der Klägerin, bereits postmortale Vollmachten für die Bankkonten erteilt habe. Die Mutter der Klägerin habe als Zeugin zudem glaubhaft bekundet, dass die Erblasserin sie und nicht (auch) die Klägerin als ihre Bevollmächtigte angesehen habe.
Bezeichnung spricht nicht gegen Testierwillen der Erblasserin
Dass die Erblasserin die beiden Schriftstücke nicht als "Testament" und auch nicht als ihren "letzten Willen" bezeichnet habe, spreche nicht entscheidend gegen ihren Testierwillen. Auch der Text ihres zuvor errichteten Testaments lasse erkennen, dass sich die Erblasserin mit den üblichen Formulierungen letztwilliger Verfügungen nicht ausgekannt habe.
Formulierungen sprechen für Zuwendung
Nach Ansicht des OLG sind die beiden Schriftstücke vor diesem Hintergrund so zu interpretieren, dass die Erblasserin der Klägerin ihre auf den Konten bestehenden Guthaben als Vermächtnisse habe zuwenden wollen. Dabei habe sie mangels juristischer Beratung gemeint, dies geschehe bei den Forderungen gegen eine Bank dadurch, dass sie postmortale Vollmachten ausstelle. Die Formulierungen in dem Text, die Klägerin solle sich die Guthaben auszahlen lassen, spreche für eine Zuwendung, so auch die Formulierung, dass sie die Zuwendung behalten solle. In diesem Sinne habe die Erblasserin – das habe die Beweisaufnahme bestätigt – auch das Schriftstück aufgefasst, in dem nicht zusätzlich erwähnt sei, dass sich die Klägerin das Guthaben auszahlen lassen könne.