Jungfrau-Marathon

Jungfrau-Marathon: Höhenmeter 2134m - Zeitlimit: 6:30h - Und der Berg hat gerufen.

Es war wieder eine Großveranstaltung, mit der Langstreckenweltmeisterschaft, am ersten Septemberwochenende. Wie immer sind die Startplätze begrenzt auf 4000 Läufer. Die Organisatoren haben aber das Wunder vollbracht, diesmal wohl über 4300 Läufer an den Start zu bringen.

Das Rahmenprogramm verdient eine besondere Erwähnung. Am Freitag Nachmittag fanden die „Kinderläufe" statt, die auf der Startgeraden, vor dem Jungfrau-Hotel mit großer Beteiligung der Zuschauer durchgeführt wurde. Begeisterung rechts und links der Laufgeraden, wildes „Gewusele" der mehr oder weniger motivierten Jugend und am Rande die freundliche Anfeuerung der Eltern und Sommergäste aus aller Welt.

Diese Veranstaltung ist für die Kinder nicht nur ein persönlicher Höhepunkt, sondern auch von der Zeitplatzierung ausgesprochen angenehm. Hier verdient die Organisation das erste herzliche Dankeschön!

Und dann der Samstagmorgen, 9:00 Uhr, Start bei Sonnenschein, frischer Temperatur und Blick auf die Jungfrauregion. Die Nationalhymne der Schweizer erklingt, ein Paragleiter landet auf der großen Festwiese mit der Nationalfahne, die obligatorischen Böller-Schüsse, bei denen ich jedes Jahr aufs Neue erschrecke und dann der Startschuss! Gänsehaut-Stimmung.

Diesmal sind die Pacemaker mit großen Ballons mehr als gut gekennzeichnet. Wie immer zwingt mich meine freundliche Zurückhaltung ganz nach hinten. Wer will denn bei einer so schönen Strecke schnell laufen?! Na ja, „Wollen"..., alleine das kleine Wörtchen „Können" bremst.

Die Pacemakerin, Andrea Kummer, 6:00, läuft optimal! Sie läuft gleichmäßig, wie ein Schweizer Uhrwerk, darüber hinaus noch darauf bedacht, dass die Gruppe gut mitkommt. Sie ist ausgesprochen nett und hält super Kontakt zu ihrer Gruppe. Auch hier ein Dankeschön an diese gute Leistung. Sie hat mich leider vor der „Wand" verlassen, schade eigentlich, aber an einer „hauseigenen Verpflegungsstation" war sie dann plötzlich weg.

Erst einmal läuft man beim Jungfrau-Marathon eine wahre Ehrenrunde durch die Stadt. Der Marathon ist ganz flach, nochmals am Startplatz vorbei, bei dem man schon hört, wie weit die Weltmeister bereits gerannt sind. Schon hier kann man sich ausrechnen, dass die ersten Läufer so schnell sind, dass ich meinerseits nicht einmal bei einem entsprechenden Spurt auf 200 Meter mitlaufen könnte. Aber wer will das schon? ...der Lauf ist so schön, ich lasse mir Zeit... notgedrungen!

Der Weiterlauf noch Bönigen an den Brienzersee fühlt sich ganz leicht an. Allerdings habe ich an diesen Stellen noch nie so viel Publikum gesehen wie diesmal. War es das gute Wetter? Oder die Weltmeisterschaft? Oder meine neuen weißen Kniestrümpfe (übrigens wirklich zu empfehlen, auch wenn sie uns an die Sonntagsschule oder den Besuch bei Tantchen erinnern). Mir war es einerlei, es war berauschend, durch die Dörfer zu laufen, die Glocken schwingenden Männer und Trommel schlagenden Frauen haben uns begleitet oder über die Kilometer getragen.

Schon auf diesen ersten Kilometern zeigte sich, dass die Verpflegung wieder mal ausgesprochen gut funktionierte, und dies kann ich bis zum letzten Kilometer nur und ständig bestätigen.

Nach dem ersten ruppigen Anstieg nach Gsteigwiler führt die Strecke schattig durch den Wald, am rauschenden Bach entlang, parallel zur Bahnstrecke nach Lauterbrunnen.

Habe ich doch unlängst in einem Marathonbericht gehört, dass nur beim Jungfrau-Marathon und bei einem Marathonlauf in Afrika die Züge für die Läufer angehalten werden. Und tatsächlich! Wir haben Vorfahrt! Das ist doch charmant.

In Lauterbrunnen haben wir unsere Mädels, Lili und Clara, verpflichtet, uns mit gekochten Kartoffeln und Salz, sowie einer selbstgekochten Kraftbrühe zu dopen, damit wir auch die „erste Wand" schaffen können. Und diese Wand ist wirklich eine solche! Es geht in Serpentinen nach oben. Wenn ich es nicht besser wüsste, dass eine Senkrechte nur 90 Grad haben kann, würde ich einfach behaupten, diese Wand hat wenigstens 110 Grad. Das fühlt sich auf jeden Fall nach km 25 aufwärts genau so an!

Aber wie hat unser alter Louis Trenker immer gesagt: „Wir sind aufi gstiegn und immer weiter aufi und weiter..." ,ob er sich auch so gefühlt hat wie ich?

Aber ich habe geschworen, dass mich bei diesem Lauf der Besenmann nicht frisst! Also muss ich schauen, dass ich in einer einigermaßen anständigen Zeit den Berg schaffe. In der stillen Hoffnung, meine Mädels wieder in Wengen zu treffen, die mich wiederum mit Kartoffeln versorgen, hatte ich neue Antriebskraft und konnte auch auf den kleinen Abfallstrecken entsprechend rennen.

Wengen ist immer ein Fest für sich. Das kleine autofreie Dorf feiert die Marathonis gebührend. Offensichtlich kennen alle die Strecke, die die armen Läufer bereits hinter sich haben! Aber das ist noch gar nichts, wenn man weiß, was vor einem liegt. Raus aus Wengen, kräftig den Berg nehmen, denn das, was zeitnah vor einem liegt, kann nur als Vorgeschmack bezeichnet werden.

Die Strecke von Wengen nach Wixi führt am Berg entlang, mit wunderschönen Aussichten, ins Tal hinab, zum Jungfraumassiv, zum Eiger und Mönch, auf Gletscher und „den Berg". Jetzt sitzen endlich die Ausreden noch besser, fürs langsame Laufen:„Warum so schnell laufen, es ist doch so schön hier!"

Aber die Steigungen sind zu fühlen, die Läufer werden langsamer und schweigsamer.

Und das große „Ding", das kommt noch! Eigentlich habe ich das nicht nur gelesen, sondern ich war bereits dreimal hier, von diesen dreimal bin ich 2x nicht hochgekommen, Ausstieg bei km 32 und km 35. Ein schändliches Eingeständnis, aber ich habe mir geschworen: Diesmal, beim 4. Mal frisst mich der Besenmann nicht!

Aufi geht's!!! Und weiter aufi.... der Berg ruft!

Und dann letztlich taucht der letzte große Berg auf, das letzte große "Ding". Und an diesem letzten großen Ding sieht man kleine Pünktchen, die sich langsam den Berg hinauf ziehen, der Gaudiwurm!

Und es ist ein großes Ding! Man kann nur noch im Schritttempo gehen, Gott sei Dank, Läufer an Läufer. Man hat das Gefühl viele, viele km zu gehen, obwohl die Anzeigetafel gerade mal 250 Meter bescheinigt. Und dann nochmals 250 m und noch mal und dann km 38,750, dann 39,000 dann 39,250. Später haben Läufer erzählt, dass sie im „Stau" standen, über fünf Minuten und nicht weiter konnten. Ich hätte mich sicher nicht beklagt, der Landschaft wegen natürlich, da hätte man sich alles in Ruhe mal anschauen können!

Aber meine Zeit dazu ist knapp. Der Dudelsackspieler, der das letzte Mal auch ein lustiges Lied für mich gespielt hat, war schon dabei, sich mit den Läufern zu unterhalten und daher war auch für mich allerhöchste Zeit, letztmalig dem Besenmann davonzurennen.

Ich habe ihn aber nicht gesehen, den Kerl, er hat mich diesmal nicht angesprochen, ich will ihn gar nicht kennen ... niemals mehr!

Das Ziel bergab: ich fliege... bin durch. Am Ziel.

Und das ganze Spektakel war begleitet von unglaublich vielen Zuschauern, von super Verpflegung, blauem Himmel und Eindrücken, wie man sie selten bekommt. Ein Traum. Ich bin glücklich, dass ich den Berg hab´ rufen hören!

Nur eines finde ich bedauerlich, was mir schon bei meinen Ausstiegen 2006 und 2004 aufgefallen war und wieder von meinen Mädchen bestätigt wurde: Es gibt offensichtlich einige Läufer, die die Logistik nutzen, um in Lauterbrunnen oder in Wengen in die Bahn zu steigen, um zu „Finishen". Da fehlt für mich der sportliche Geist, das ist schlicht und ergreifend auf der gleichen Stufe wie Doping beim Leistungssport. Wer sich mit einem Finisher-Shirt schmücken möchte, soll laufen. Diese Shirts kann man doch nur mit wirklichem Stolz tragen, wenn man sie sich erlaufen hat.

Und diesmal bin ich nach oben gekommen. Überglücklich, dieses Shirt tragen zu dürfen!

Auch der Abtransport hat funktioniert, Dank ruppiger, aber funktionierender Logistik. Solch eine Masse Menschen wieder vom Berg zu bekommen, war eine Aufgabe für sich. Da saßen und standen wir dicht gedrängt im „Bähnli" nach unten und musste sich ins Ohr von echten Freaks erzählen lassen, dass man jetzt den Trippel-Marathon (sprich 3 Marathons an einem Tag) oder den Zeitsprung-Marathon (bei der Zeitumstellung auf Winterzeit) plane.

Und ich will doch zu dieser Zeit gar nichts vom Marathon hören. Da gefällt mir doch der Spruch eines älteren Läufers besser, dass er glücklich sei, mal wieder eine „Jungfrau geknackt" zu haben....

„Sack und Asche"...... sollte ich das nächste Mal besser runter laufen?

Das wäre es doch... wer will, läuft noch runter nach Grindelwald, Zielschluss 18:30 Uhr, hat einen Ultra und muss nicht im Bähnli stehen...Ich werde es anregen.... morgen oder übermorgen!

Es war ein Traum! Und ich freue mich auf den nächsten Ruf des Berges in der Jungfrau Region! Der Organisation und den vielen Helfern sei Dank, das nächste Jahr werde ich wieder dabei sein, ankommen werde ich, bevor der Besenmann das Licht ausmacht oder vielleicht zwei Minuten früher!