Ostersamstag, früh, sehr früh! Man könnte heute einen Stadtbummel machen, die letzten Geschenke einkaufen, später in der Stadt zu Mittag essen usw.; könnte man....!
Aber vor mir liegen 56 Kilometer Straße und der Startschuss zum Two-Ocean Ultra-Marathon in Kapstadt, Südafrika. Man könnte es anders machen, macht es einfach nicht.
Aufgeregte Stimmung vor Sonnenaufgang, die Luft ist lau, nicht zu warm, kaum Wind. Und zigtausend Läufer stehen hier in Cape Town beisammen. Ich ordne mich hinten ein. Ehrlich gesagt ganz hinten und blickte mich verstohlen um. Sicher sind alle besser trainiert, ganz sicher und auch besser ans Klima angepasst. Alle kennen sicher den Lauf besser usw. Das sind meine Gedanken.
Ich komme aus dem kalten Deutschland und bin noch nie so weit gelaufen; warum mache ich das?!
Ich finde eine Gruppe, die „nur" vorhat, die 56 unter den geforderten sieben Stunden zu laufen. Man will nur ankommen, bevor die Lichter am Ziel ausgehen.
Nach dem ersten Austausch der Zielvorgabe, Kenntnis der Vornamen und Nationalitäten verbindet man sich zu dem „Sieben-Stunden-Bus", wie gesagt, aber alle sind sicher besser trainiert, bestimmt bessere Läufer als ich usw....
Eine schottische Mitläuferin läuft für Tsunami Opfer, ein anderer kommt gerade von einem Marathon in England, andere wollen sich für den großen Lauf in Durban qualifizieren. Was mache „ich" hier nur?
Unser „Busfahrer" macht ein gutes Tempo, das heißt er läuft zügig los. Aber das ist wohl das Mindeste, was man tun sollte, wenn man von ganz hinten startet.
Die Sonne geht auf, die Luft ist klar und trotz der frühen Stunde sind viele Zuschauer vorhanden. Man genießt es zu laufen, die Luft Afrikas zu atmen und die ersten Kilometer gehen wirklich gut.
Der Busfahrer motiviert durch frühes zügiges Gehen, was mich zwar sehr irritiert, aber ich habe mich entschlossen zu laufen und mache was er sagt. Er kennt den Lauf!
Mich begleitet der Gedanke: „Nur nicht zurückfallen, hinter mir ist nahezu keiner!" Und tatsächlich habe ich keine Schwierigkeiten mit Krämpfen, Übelkeit oder Darmproblemen, die mich sonst immer während der ganzen Läufe massiv begleitet haben.
Die Kilometer laufen gut, erstaunlich gut. Die Trinkstationen sind gut ausgestattet mit den berühmten Beuteln Wasser, Isogetränke und Cola.
Der Busfahrer motiviert nach wie vor perfekt und hält die Truppe unglaublich gut zusammen. Es herrscht eine ausgelassene Stimmung und jeder freut sich über die Erheiterungen wie: „Leute! Die gute Nachricht ist, wir haben schon 12 Kilometer hinter uns, die schlechte: wir müssen noch 44 laufen!"
Man trägt es mit Humor, die Sonne im Gesicht, alles freiwillig, alles selbst gewählt. An einem wunderschönen Ostersamstag, wie heute.
Das Meer kommt in den Blick, wohl gemerkt Meer Nr. 1. Der Lauf heißt ja auch „Two-Ocean". Ich muss es mir immer wieder vorsagen: „Two-Ocean". Aber es elektrisiert uns und die Menschen am Rande der Straße. Mancher mag es eigenartig finden, aber auch großartig, dass wir hier laufen.
Bei Kilometer 20 kommen neuerliche Zweifel, warum tue ich das, sollte eine neurologische Untersuchung angedacht werden?! Diese Überlegung schlägt bei Kilometer 46 in die Entscheidung um, sich ohne neurologische Untersuchung einfach wegsperren zu lassen.
Aber es läuft. Mittlerweile überholt unser „Bus" die ersten Läufer und schlägt nach weiteren Kilometern die anderen „sieben Stunden Busse".
Chapmanspeak, der zweite Ozean im Blick, blau wie der Himmel und strahlender Sonnenschein. Meine Herren, wer hätte das gedacht. In der Schule legte ich mich bei 800m Läufen an den Stadionrand und erklärte hartnäckig, dass ich keine 800m laufen werde; dies schade meiner jungen Gesundheit. Ich habe damals nur eine 4 kassiert, weil ich mich ruhig verhalten habe und nicht die anderen pubertierenden Mädels wild gemacht habe....
Zeiten ändern Menschen. Wer hätte das gedacht!
Ich kämpfe! Einerseits treibt mich meine Faszination über den Ausblick auf das Meer und die in Fels geschlagene Straße, das Wasser und dann der Kampf mit dem Berg.
Der Busfahrer ermahnt zum Gehen, die Helfer an den Trinkstationen verbreiten eine unglaubliche Stimmung. Teilweise sind sie verkleidet als Gladiatoren oder Römer. Musik und gute Laune begleiten uns am Berg.
Es steckt an. Wir haben alle gute Laune, singen teilweise mit und das bei mittlerweile Kilometer 30! Den Berg hinab, so dachte ich, den kann ich doch leicht nehmen. So hat sich das wenigstens gestern mit dem Auto angedeutet. Aber Himmel und eins!, die Strecke zieht sich. Der Busfahrer ermahnt, erinnert daran, dass der große Pass noch vor uns liegt
Kilometer 40: Der Kampf mit dem nächsten Berg beginnt und kein Wasser mehr an den Stationen, Kilometer 42, laufen, durchatmen, Arme nach oben, Luft in den Bauch!
Bis Kilometer 43 mit leichtem Lauf den Berg nehmen. Der Busfahrer hat uns versprochen, ab 44 bis 46 wird „zum Top" zügig gegangen. Man hängt an ihm, wie ein Ertrinkender an seiner Planke. Nicht loslassen. Nur nicht zurückfallen.
Es ist heiß, sehr heiß. Die Mittagssonne steht über uns in Afrika. Wieder kein Wasser bei der nächsten Station. Aber eine Familie hat sich unserer Not erbarmt und mit einem Gartenschlauch unsere Trinkflaschen gefüllt.
Wir überholen, wir der letzte Bus! Wir überholen! Nicht zu glauben! Ich bin dabei!
Kilometer 46 jetzt nur noch 10 km in die Stadt hinein!
Wir überholen.... Hey! Kilometer 48....
Weiteres Aufsammeln von müden Läufern. Keiner will sich unserem „Bus" anschließen. Wir seien zu schnell...; es klingt wie Musik. Keiner will mitkommen, obwohl wir immer noch lautstark erklären, dass der Weg doch noch lange sei und es sehr viel Sinn mache, in unseren Bus einzusteigen. Müdes Grinsen!
Der Busfahrer motiviert, wir folgen ihm willenlos. Wie viele Berge noch? Egal! Er sagt laufen! Wir laufen. Er sagt langsam, wir schleichen. Anlaufen. Die Meute läuft an.
Wir hätten alle Zeit der Welt, so verspricht er. Für mich steht die Zeit still. Ich laufe nur noch mechanisch. Mit einem Ohr bemerke ich, dass die Zuschauer an der Straße dichter werden, Musik in meinen Ohren, es ist Klatschen und die gute Stimmung schlägt zu!
Meine Herren Geschworenen, Kilometer 49, 50, 53, 55.
Das Stadion liegt vor uns. Der letzte kleine Berg wird genommen, wer denkt jetzt noch an Berge! Einlauf ins Stadion. Wir spüren den Rasen unter den Füßen, hören das Klatschen und ich spüre die Sonne auf meinem Gesicht, die Tränen laufen und ich falle dem Busfahrer um den Hals, wie der Rest der Truppe und fühle: Ich habe es geschafft! 56 Kilometer am Ostersamstag.
Bevor das Licht ausging.